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Stadt am Fluss

Anders als bei den meisten Städten im Ruhrgebiet dominierte in Mülheim an der Ruhr über Jahrzehnte nicht der Kohleabbau das Wirtschaftsleben, sondern dessen Handel und Transport.

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von Regiomanager 01.02.2016

Obwohl bereits im 13 Jahrhundert beim Pflügen in Eppinghofen Kohle gefunden worden war, erlangte der Kohleabbau hier nie die Vormachtstellung, die er in anderen Städten des Ruhrgebietes hatte. Zwar blühte der Steinkohlebergbau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die technischen Errungenschaften in Mülheim ebenfalls auf und Zechen wie Rosendelle, Caroline oder Sellerbeck entstanden, doch bis zur Schließung der letzten Zeche Rosenblumendelle im Jahr 1966 war Kohleförderung nur einer von mehreren bedeutenden Wirtschaftszweigen.

Kohlehandel

Insbesondere zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Kohlehandel zu einem der größten Arbeitgeber der Stadt, die 1808 ihre Stadtrechte erhielt. Rund 6.000 Einwohner zählte man, in einer Ansiedlung mit eher dörflichem Charakter, kaum geschlossener Bebauung und höchstens einem Dutzend zusammenhängender Straßenzüge. In diesem Jahr legte der 1790 geborene Mathias Stinnes mit der Gründung eines Unternehmens, das sich mit Schifffahrt und Kohlehandel befasste, den Grundstein für den Stinnes-Konzern, der in den folgenden Jahrzehnten zu einem Unternehmen mit Weltgeltung aufstieg. Bei der Gründung seines eigenen Unternehmens konnte Stinnes auf eine ins 16. Jahrhundert zurück reichende Tradition aufbauen, denn begünstigt durch Mülheims Lage am Fluss, war der Kohlenhandel schon immer ein wichtiger Wirtschafsfaktor gewesen. Stinnes machte sich zunächst als Transporteur von Gütern auf Ruhr und Rhein einen Namen. Größte Bedeutung hatte dabei die Kohle, aber auch viele andere Waren, von Getreide und Holz über Steine bis zu Schießpulver, wurden transportiert. Der Transport der Steinkohle erfolgte mithilfe sogenannter Aakes, flacher Kohleschiffe, die vom Leinpfad aus getreidelt wurden. Während Stinnes die ersten Schiffe noch kaufte, stieg er später als Reeder selbst in die Produktion von Schiffen ein. Zudem integrierte er die Kohleförderung in sein Unternehmen und wurde so durch die Beteiligung an insgesamt 36 Bergwerken zum größten Bergbauunternehmer des Ruhrgebiets.

Eisen und Stahl

Ebenso eng mit der Wirtschaftsgeschichte der Stadt Mülheim verbunden wie der Name Stinnes ist der Name Dinnendahl. Die beiden Brüder Franz und Johann Dinnendahl setzten sich Anfang des 19. Jahrhunderts mit ganzer Kraft für die Einführung der Dampfmaschinen zum Kohleabbau ein. Ihre Konstruktionen wurden bahnbrechend für die Entwicklung des Ruhrbergbaus. In ihrer 1820 gegründeten Eisenschmelze und Maschinenfabrik produzierten die Dinnendahls neben Dampfmaschinen auch Maschinenteile für Bergwerke, Spinnereien und Mühlen. Die Fabrik war die Keimzelle der Friedrich-Wilhelms-Hütte, die über Jahrzehnte hinweg eines der wichtigsten Mülheimer Unternehmen war und ihren Namen einem der Geldgeber Dinnendahls verdankte. 1964 wurde dort der letzte Hochofen stillgelegt.
Auch die Basis des Thyssen Konzerns liegt in Mülheim. Keimzelle der Unternehmensgruppe war die KG Thyssen und Co. die der damals 28-jährige August Thyssen im April 1871 gemeinsam mit seinem Vater Friedrich in Styrum gründete. Im dortigen Walzwerk wurden zunächst Flacheisen produziert, seit 1878 auch Röhren. Nach dem Tod Thyssens 1926 ging das Unternehmen in den Vereinigten Stahlwerken auf. Große Bedeutung, aber nur über einen kurzen Zeitraum, erlangte darüber hinaus der Eisenhammer des Johann Wilhelm Vogt. Der Vogt’sche Eisenhammer verarbeitete schon um 1800 am oberen Dickswall, also in der Nähe des heutigen Hauptbahnhofs, ca. 12.000 Pfund Eisen und Stahl.

Bodenschätze

Neben Steinkohle wurden in Mülheim im 19. Jahrhundert auch weitere Bodenschätze gefördert. Dabei handelte es sich vor allem um Erze, aber auch Zink, Blei und Kupfer wurden zutage geholt. In dieser Zeit entstanden unter anderem die Gewerkschaft Selbecker Bergwerksverein, Lintorfer Erzbergwerk und das Broicher Eisensteinbergwerk.

Steine und Erden

Zu den ältesten Wirtschaftszweigen der Stadt gehört die Gewinnung von Ruhrsandstein. Der westlichste Steinbruch im Ruhrsandstein befindet sich am Kassenberg in Mülheim-Broich. Bis ins späte 20. Jahrhundert hatte diese Branche eine hohe Bedeutung für Mülheim an der Ruhr inne, und auch heute wird dieses Gestein noch abgebaut. Ruhrsandstein findet man in vielen Mülheimer Gebäuden, beispielsweise an Teilflächen von Schloss Broich, am Bismarckturm, der Mausefalle in der Altstadt, am Wasserkraftwerk am Kahlenberg sowie am Haus Ruhrnatur.

Textil und Leder

Länger als ein halbes Jahrhundert beherbergte die Stadt am Fluss auch eine bedeutende Textilindustrie. Zu den größten Unternehmen jener Zeit gehörte Johann Caspar Troost, dessen Baumwollspinnerei im Luisental bis zu 300 Menschen Arbeit gab. Neben Troost erlangten die Baumwollweberei Johann Daniel Hammacher sowie die Tuchfabriken von Theodor Schmachtenberg und Hermann Mühlenbeck überregionale Bedeutung. Für das Gesicht der Stadt waren darüber hinaus die Lohgerberei, das Ledergewerbe, charakteristisch. In einer Zeit, in der die Herstellung verschiedener Lederarten einzelnen Regionen oder Städten vorbehalten war, hatte Mülheim das Privileg, Lackleder für Wagendächer produzieren zu dürfen. Straßennamen wie Löhberg oder Leder- und Gerberstraße erinnern noch heute an die frühere Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges.

Handel

Mit der Unternehmensgruppe Tengelmann hat ein weiterer Konzern von internationalem Rang seine Wurzeln in Mülheim an der Ruhr. Die Ursprünge finden sich im 1967 gegründeten Kolonialwarenladen von Wilhelm + Louise Schmitz-Scholl, dem 1882 mit der Eröffnung einer Kaffeerösterei der Durchbruch gelang. 1912 wurde auch noch eine Kakao- und Schokoladenfabrik in Mülheim-Speldorf eröffnet. Aus diesen Anfängen entwickelte sich der nach dem Prokuristen Emil Tengelmann genannte multinationale Konzern. Unter dessen Namen war bereits 1893 das Kaffee-Import-Geschäft Emil Tengelmann in das Handelsregister eingetragen worden.

Besonderheiten

Zwei Besonderheiten der Mülheimer Wirtschaftsgeschichte dürfen nicht vergessen werden: Im Juli 1914 eröffnete die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf dem Kahlenberg ihr erstes Forschungsinstitut außerhalb Berlins (heute: Max-Planck-Institut für Kohlenforschung). Dessen Direktor Karl Ziegler wurde 1963 mit dem Chemie-Nobelpreis geehrt. 1925 wurde der Flughafen Essen-Mülheim offiziell in Betrieb genommen. Dieser entwickelte sich bis Mitte der 1930er-Jahre zum Zentralflughafen für das rheinisch-westfälische Industriegebiet, verlor seinen Rang aber nach dem Zweiten Weltkrieg an Düsseldorf. Herbert Päge | redaktion@regiomanager.de

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